Swiss Army Man

© Capelight / Koch Films / Central

Es ist ein friedlicher Tag auf einer winzigen Insel mitten im Meer. Der Ausreißer Hank steht leise summend auf einer Kiste, den Hals in der Schlinge. Das Leid und die Einsamkeit sollen endlich ein Ende haben, sein Beschluss steht fest. Plötzlich erblickt er einen jungen Mann in den Wellen, der Körper wird an Land gespült – endlich Gesellschaft? Gerade als er zur Hilfe eilen möchte, kippt die Kiste, Hank baumelt am Strick. Glücklicherweise hat Hank kein Händchen bei der Seilwahl – und auch sonst liegt bei dem jungen Mann so Einiges im Argen.

Was folgt, könnte gleichwohl letzter Gehirnblitz vor dem Tod, Traum oder Trip sein. Swiss Army Man präsentiert sich als Sammelsurium von Seltsamkeiten, so lächerlich, so eigenartig, dass es sich unmöglich um unsere echte Welt handeln kann. Und doch überrascht der Film im nächsten Moment mit Problemen, wie sie realer und alltäglicher nicht sein könnten: enttäuschte Liebe, schwierige Verhältnisse zu den Eltern, Einsamkeit, Selbstzweifel. Geschickt wechseln die beiden Regisseure und Drehbuchautoren Dan Kwan und Daniel Schreinert zwischen totaler Absurdität und damit verbundener Komik und tieftraurigen Momenten. Ein toter Junge am Strand – traurig. Ein toter Junge am Strand, der plötzlich furzt und gar nicht mehr aufhört – komisch. Den furzenden Leichnam als Jetski verwenden – zum Schreien komisch.

Als die Leiche zu sprechen beginnt und sich als Manny vorstellt, kommt Swiss Army Man auf beiden Ebenen so richtig in Fahrt. Der nun alles andere als stumme Manny löchert Hank mit Fragen über das Leben, die Menschheit und auch über Persönliches und nimmt den Zuschauer gedanklich mit auf die Reise nach dem Warum. Dem naiven (weil quasi gerade erst geborenen) Manny ist nichts zu peinlich, nichts zu seltsam und nichts heilig – das ist überaus erfrischend und bietet eine hervorragende Basis, menschliches Verhalten zu hinterfragen. Sein kindliches Staunen reißt den Zuschauer und auch Hank mit, der beginnt, mithilfe von Müll und Pflanzen allerlei alltägliche Gegenstände nachzubauen, um sie seinem toten Kumpel näherzubringen. Schon bald tummeln sie sich im liebevoll nachgebildeten Bus oder im Café – Swiss Army Man ist eine Liebeserklärung an das Alltägliche und eine Aufforderung, sich der Wunder des Alltags wieder bewusst zu werden.

Vor allem Daniel Radcliffe vollbringt in seiner Rolle als kaum bewegliche Leiche körperliche und mimische Höchstleistungen, die man im Kino so noch nicht gesehen hat. Paul Dano liefert ebenfalls eine hervorragende Performance ab, aber da seine Rolle nicht so außergewöhnliche Anforderungen hat, bleibt er ein kleines bisschen hinter Radcliffe zurück. Als Duo harmonieren die beiden sehr gut, geradezu bewunderswert sind die fehlenden Berührungsängste zwischen den Schauspielern. Das Schauspiel geht so locker und unverkrampft über die Bühne, dass der Spaß an den Dreharbeiten deutlich zu spüren ist.

Neben der interessanten und spannenden Geschichte, die sich im Grunde mit nicht weniger als dem Kampf ums nackte Überleben zufrieden gibt, überzeugt Swiss Army Man vor allem mit einem explodierenden Ideenfeuerwerk, das seinesgleichen sucht. Seien es die phantasievollen Basteleien oder die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von menschlichen Körpern, die Kreativität der Macher quillt aus allen Ritzen. Neben den vielfältigen Kameraeinstellungen und interessanten Kompositionen, die den Film optisch zu einem Erlebnis machen, ist vor allem die Tonebene interessant. Als Soundtrack gibt es in passender Selfmade-Manier Dadadas und Dupdupdups vor allem von Paul Dano, aber auch von Daniel Radcliffe zu hören. Das passt nicht nur perfekt zum Gesamtkonzept, sondern verleiht Swiss Army Man ein ganz eigenes und individuelles Flair.

Insgesamt ist Swiss Army Man ein absolut sehens- und hörenswerter Film, der mit viel Liebe zum Detail, einer interessanten Geschichte um eine höchst eigenartige Freundschaft und grandiosen Darstellern aufwartet. Skurrile Ideen und emotionale Einschübe greifen geschmeidig ineinander über und bieten einen bisher unbekannten Filmgenuss.

Bewertung: 10/10