Von allem zu viel: Dunkirk

© Warner Bros. Entertainment

Das humorloseste Thema aller Zeiten, ebenso bierernst erzählt, karge, finstere Umgebungen ohne wirkliche Überlebenschancen, ausweglose Situationen, Helden mit dem Zeug zum Selbstopfer, verschiedene zeitliche und örtliche Ebenen der Handlung, dazu der passende Bombast Soundtrack mit treibendem Uhrenticken – selbstverständlich gebastelt vom Hau-drauf-Spezialisten Hans Zimmer, komplett durchpolierte Ästhetik und obendrauf Trigger für die größten der großen Emotionen – das kann nur ein Christopher Nolan Film sein. Mit seinem mittlerweile zehnten Film macht der britische Regisseur in schwierige Brexit-Zeiten sein Heimatland und das Genre des Kriegsfilms great again.

Der mit gerade einmal 107 Minuten Nolan-untypisch kurze Film fokussiert sich auf drei Handlungsstränge und Zeitebenen, die sich während der Operation Dynamo im Frühjahr 1940 abspielen, während der 400.000 eingekesselte britische Soldaten vom nordfranzösischen Strand in Dünkirchen evakuiert wurden. Der Zuschauer erlebt eine Woche im Leben eines britischen Soldaten am Strand, der fieberhaft nach einem schwimmenden Untersatz über den Ärmelkanal sucht, um sich vor den nahenden Truppen in Sicherheit zu bringen. Zudem wird ein Tag eines Vater und seiner zwei Söhne nachvollziehbar gemacht, die mit einem kleinen Schiff von der britischen Seite aus zur Hilfe eilen. Über dem ganzen Geschehen tobt ein Luftgefecht, dessen einstündiger Verlauf immer wieder die anderen Handlungsstränge schneidet. Die Handlung dreht sich um das Überleben und die persönlichen Geschichten der Protagonisten der jeweiligen Orte in der unübersichtlichen Gesamtsituation und versucht so, ein vielfältiges Bild der Ereignisse wiederzugeben.

Nolan zementiert mit Dunkirk nun endgültig seinen ästhetischen Stil, der zwar bereits in Interstellar auf ähnliche Weise aufpoliert wurde, jetzt aber noch stringenter und exakter durchexerziert wird. Nahezu jedes Bild des Films enthält eine faszinierende Komposition und beeindruckt mit spannungsvoller Aufteilung. Hinzu kommt die dynamische Kamera, die besonders in Extremsituationen wie beispielsweise dem Untergang eines Schiffes die Szenerie mit Orientierungslosigkeit und zusätzlicher Spannung auflädt. Hierbei werden verschiedenste Kamerawinkel und -bewegungen genutzt, um ungewöhnliche Blickachsen und Eindrücke zu erzeugen, was insgesamt eine sehr innovative Wirkung entfaltet. Eine Schlüsselrolle in der Ästhetik des Films spielen Farbe und Materialität der Filmbilder und die dadurch erzeugte, reichlich düstere Atmosphäre. Bei Szenen am Strand werden durch die kalten Farben und die ständige Nässe der Umgebung schon vom Zuschauen die Füße kalt. Einen starken Kontrast bildet die Welt der Piloten, die oftmals in strahlendes Sonnenlicht getaucht ist, in dessen erbarmungsloser Helligkeit sie leichte Ziele für den Feind sind. Die häufig eingesetzten ruhigen Bilder vom endlos wirkenden Strand oder dem fast teilnahmslos glatten Meer verschaffen einen Überblick über die Umwelt und transportieren grandiose atmosphärische Eindrücke, die zwischen den actiongeladenen Szenen Zeit zum Nachdenken lassen.

Die Intensität der Eindrücke ist vor allem in der ersten halben Stunde groß, da zunächst fast vollständig auf Musik verzichtet wird, sodass die Geräusche des Kriegsgeschehens in den Fokus gerückt werden. Die Schüsse des Feindes, der übrigens den gesamten Film über unsichtbar bleibt (was sich als ebenso einfacher wie genialer Kniff herausstellt), oder die herannahenden Kampfflugzeuge donnern nicht nur über die Leinwand, sondern manifestieren sich vor allem über die maximal aufgedrehte Tonebene in der Vorstellung des Zuschauers. Die dadurch erzeugte Intensität kann sich aber leider nicht über den gesamten Film aufrecht erhalten – so kurz er auch sein mag, Nolan gelingt es nicht, den Zuschauer nachhaltig emotional zu involvieren. Das liegt nicht ausschließlich, aber doch zu einem großen Teil an der Bombastmusik, die sich über den kompletten Film legt und als immer wieder an- und abschwellender Klangteppich die gewünschten Emotionen zu den jeweiligen Filmbildern anzuregen versucht. Die anfängliche so meisterhaft gemachte Zurückgenommenheit auf der Bild- sowie auf der Tonebene entwickelt sich zu einem oberflächlichen Emotionsdiktat, um letztendlich in unverhohlenen Kitsch umzuschlagen. Wenn schließlich Flugzeuge lautlos in den Sonnenuntergang gleiten, Tränen in den Augen der Befehlshabenen glitzern, wenn sie den patriotischen Einsatz ihrer Landsleute bewundern oder bei der Fahrt in die Heimat aufgebauschte Zeilen der Hoffnung verlesen werden, lässt sich ein enttäuschtes Zucken des Körpers hinsichtlich dieser viel zu dick aufgetragenen Bilder und Gesten nur schwerlich verhindern.

Wie bereits bei vielen seiner anderen Filme, versucht Nolan mit allen erdenklichen filmischen Mitteln, die gewünschten Gefühle aus dem Zuschauer herauszupressen und ist sich auch für die ganz große Geste nicht zu schade. Konfrontiert mit schnell durchschaubaren, plakativen Mitteln stellt sich jedoch nach kurzer Zeit emotionaler Widerstand ein, ein großes Nein zur offensichtlichen Manipulation, die dem Film auch noch seine letzte emotionale Zugänglichkeit raubt. Das ist vor allem schade, da Dunkirk an vielen Stellen vieles richtig macht. Beispielsweise das Casting. Obwohl der arme Tom Hardy wie schon in The Dark Knight auf die komplette Gesichtspartie unterhalb seiner Augen verzichten muss, gelingt ihm doch eine gute Performance. Auch andere Schauspieler wie Cillian Murphy, Kenneth Branagh oder Newcomer Fionn Whitehead liefern stabile bis sehr gute schauspielerische Leistungen ab. Außer Heldenmut und nahezu animalischem Überlebenskampf, der schließlich nur gewonnen werden kann, haben diese Figuren allerdings wenig zu bieten, sodass sie letztendlich eine eine anonyme Masse bleiben, deren Schicksal nur am Rande interessiert.

Ästhetisch ein absolutes Juwel, in jeder anderen Hinsicht allerdings reichlich überfrachtet – so lässt sich Dunkirk abschließend wohl am besten beschreiben. Die innovativste Kamera und die gestochensten Bilder bringen leider nichts, wenn die Handlung und die Figuren von filmischen Mitteln frisch aus der Trailerproduktion platt gewalzt werden. Trotz kluger Verkettung verschiedener Handlungsstränge und der interessanten Verschachtelung verschiedener Zeiten und Orte, kann Dunkirk mit steigendem Lärm- und Actionpegel im zeitlichen Verlauf immer weniger involvieren. Die Nolansche grimmige Ernsthaftigkeit und Hang zum endlosen Aufeinanderstapeln vermeintlich aufsehenerregender Effekte führt zu einem Zuviel an allen Ecken und Enden, dem sich Zuschauende letztendlich nur noch verweigern können.

Bewertung: 6/10