Eine voll besetzte, zum Kino umfunktionierte Kirche, über das in Windeseile aufgespannte Laken flimmert ein Walt Disney Cartoon. Das Publikum, bestehend aus einer Hälfte schwarzer Christen mitsamt sängerisch ambitioniertem Pfarrer und einer anderen Hälfte schicksalsgebeutelter Insassen eines nahegelegenen Arbeitslagers, ist im schallenden Gelächter vereint, wird zu einem Wesen, zur hyperventilierenden Hydra der atemlosen Lachexplosionen. Inmitten der wogenden Menge findet sich durch eine Reihe verworrener Zufälle der Hollywood-Regisseur John Sullivan wieder und legt während humoristischer Eskapaden Plutos seinen künstlerischen Ehrgeiz ab, fragt noch ungläubig “Am I laughing?”, um sich im nächsten Moment dem extatischen Publikum anzuschließen. Ähnliches fragen sich zweifellos auch die Zuschauenden, die – und hier kommt dann die dritte Ebene dieser verschachtelten, filmischen Satire ins Spiel – sich vermutlich ebenso hilflos lachend vor der Leinwand wälzen. Lachen sie über Pluto, über die grotesken Grimassen der zahnlosen Häftlinge, über den deplatzierten Sullivan, dem in ebendiesem Moment ein Licht der Erkenntnis aufgeht oder über sich selbst, weil sie aufgrund der mannigfaltigen Stimulationen schlicht nicht an sich halten können? Wie auch immer, diese Szene bildet den Höhepunkt eines kurvenreich verlaufenden Filmes, der nicht nur mit hintersinnigem Witz und einer haarsträubenden Prämisse ausgestattet ist, sondern auch über 70 Jahre nach seiner Premiere aktuelle Themen verhandelt.
Wer Armut künstlerisch beleuchten will, der muss sie selbst erlebt haben – davon ist der Regisseur Sullivan (etwas hölzern: Joel McCrea) überzeugt. Seinen mehr Sex, mehr Witz und mehr Leichtigkeit fordernden Arbeitgebern zum Trotz will er für sein ambitioniertes Projekt über das Leid und die Armut der amerikanischen Bevölkerung der 1940er Jahre ein nie dagewesenes Selbstexperiment wagen. Mit 10 Cent in der Tasche und dem klassischen Beutel mit Habseligkeiten über der Schulter stürzt er sich in das Leben eines Landstreichers, um anschließend das sozialkritische Werk O Brother, Where are thou? angemessen verfilmen zu können. Die PR-Abteilung des Studios wittert ihre Chance und initiiert sogleich die maximale mediale Ausschlachtung dieses Unterfangens. Als sich schließlich eine erfolglose Schauspielerin (mit kindlicher Frechheit: Veronica Lake) dem Vorhaben anschließt und den Regisseur auf Gedeih und Verderb begleiten möchte, ist das Chaos perfekt.
Wer eine Fahrkarte für Sullivans Reisen lösen möchte, sollte sich nicht nur auf die für die amerikanischen Screwball-Komödie typischen Dialoge mit Hang zur Geschwindigkeitsübertretung einstellen, sondern auch auf ein heterogenes Potpourri aus verschiedensten Stilen, Genreversatzstücken und Figuren. Eben verfliegt noch die Entrüstung ob der anmaßenden Prämisse des Films, sich Armut wie ein Kostüm überzustülpen, da findet sich der Zuschauer bereits in einer cartoonartigen Szene in einem ins Chaos geschüttelten Bus wieder, in dem hochkonzentrierte Stereotype vornehmer Herrschaften, schwarzer Dienstboten und geifernder Medienvertreter im wahrsten Sinne des Wortes wild durcheinander geworfen werden. Das lange, etwas ermüdende Warten auf des Pudels Kern dieses Films wird mit einer hübschen, an den Stummfilm angelehnten Szene der Reise des ungleichen Landstreicherpaares versüßt, die inmitten der hektischen Wortgefechte eine angenehme Oase der Ruhe bildet.
Abgesehen von dem vordergründigen Kontrast zwischen arm und reich, der durch den stellenweise recht unsympathischen Protagonisten Sullivan verkörpert wird, bietet Sullivans Reisen zahlreiche weitere Themenfelder zur Diskussion an. Neben dem leider zur Romanze hin erzwungenen Spannungsfeld zwischen Mann und Frau und damit scheinbar unweigerlich verbundenen, hollywoodtypischen Machtgefälle zwischen erfolgreich und erfolglos, wartet der Film mit skurrilen Nebencharakteren und den ihnen eigenen Konfliktpotenzialen auf. Die ständig veränderten Gesichtsausdrücke des Bildnisses des verstorbenen Gatten in der Wohnung einer liebestollen Witwe geben zwar ausreichend Anlass zur Komik, sind aber gleichzeitig ein Nicken in Richtung von einsamen Kriegswitwen. Die immer wieder mit Witz angereicherten Begegnungen mit dem harten Leben auf der Straße zeichnen gleichzeitig ein Bild der gebeutelten Gesellschaft in Zeiten der Krise. Über allem thront die medieninterne Reflexion des Hollywoodzirkus, die Kritik an der ruchlosen, stets auf maximalen Gewinn erpichten Politik der Studiobosse und die zentrale Fixierung der Medien auf große Namen, während der Tod namenloser Landstreicher keinerlei Erwähnung findet. All diese heute nicht minder aktuellen Themen verhandelt der Film in einem gelungenen Balanceakt zwischen Komik und Dramatik, dessen Leichtigkeit seinesgleichen sucht.
Nachdem Sullivans Reisen etwas zu lange narrativ wenig spannend vor sich hin plätschert, entlohnt das letzte Drittel des Films das geduldige Publikum. Mit einem unvermutet düsteren Twist verwandelt sich das Geschehen in die sozialkritische Satire, die dem ambitionierten Regisseur im Film wohl die ganze Zeit vorgeschwebt hat. Die seit Beginn schwelenden Ebenen des Films haben gegen Ende schließlich Gelegenheit, sich kunstvoll ineinander zu schieben und zu überlagern, sodass der letzte Eindruck von Sullivans Reisen schließlich trotz einiger Mängel ein positiver sein muss. Ob die letztendliche Erkenntnis Sullivans, dass das in Armut und Pein lebende Publikum ausschließlich Komödien und andere leichte Stoffe im Kino sehen will, bleibt über das Filmende hinaus diskutabel, konnte aber wohl in einem Hollywoodfilm über Hollywoodfilme kaum anders gelöst werden.
Bewertung: 6,5/10