Geigenstimmende Musiker. Klavierspielende Hände. Ein sich vorbereitendes Orchester. Während die Kamera alles in einem schönen Schwarzweiß einfängt, begibt sich zu den sanften Klängen Willem Dafoe im Tonstudio ans Pult, setzt sich Kopfhörer auf und entlässt den Zuschauer in Begleitung seiner Stimme in die Gebirgsgegenden unseres Planeten.
Schon 2008 in ihrem Dokumentardebüt Miracle on Everest zeigte Jennifer Peedom ihre Affinität zu den Bergen und damit verbundenen Themen. 2015 zementierte sie diesen Eindruck mit der BAFTA-nominierten Doku Sherpa, welche wiederum am Mount Everest spielte. In Mountain nun stehen – anders als in den genannten Filmen – weder spezifische Personen noch Ereignisse im Vordergrund, es geht um das Phänomen Gebirge an sich und ein wenig auch darum, warum Menschen sich die Mühe machen, Berghänge zu erklimmen oder sich Extremsportarten in diesen Gebieten zuzuwenden. Ein grundlegendes Thema, dem sie sich in ihrer zweiten Dokumentation – Solo, ebenfalls von 2008 – widmete, damals jedoch wiederum anhand einer konkreten Einzelperson, welche als erster Mensch mit dem Kajak von Australien nach Neuseeland reisen wollte. Peedoms Filmographie zeugt sowohl von einer hohen Menschenkenntnis als auch von einem Gespür für Randthemen, welche potenziell für sehr viel mehr Leute interessant sind.
Dafoes Stimme sowie die gezeigten Bilder am Anfang laden zum Verweilen und Träumen ein. Überwiegend überwältigende Landschaftsaufnahmen, hier und da ein paar Skifahrer, das Ganze untermalt von klassischer Musik. Mountain präsentiert sich vorerst als ruhige, unaufgeregte Bestandsaufnahme. Wer aber eine meditative Reise erwartet, sollte sich nach etwa dreißig bis vierzig Minuten schleunigst anschnallen, da nun kräftig aufs Gaspedal gedrückt wird. Immer extremer werden die Bilder, Menschen starten aus schwindelerregender Höhe mit Wingsuits, balancieren über ein zwischen zwei Bergspitzen gespanntes Seil oder springen mit Fahrrädern von Gipfeln ins Nichts, gänzlich auf den sich hoffentlich öffnenden Fallschirm vertrauend. Parallel dazu erzählt Dafoe von einer inneren Ratte, die mit Angst gefüttert wird, und einen immer extremeren Kick braucht, um satt zu werden. Der Adrenalinkick überträgt sich auch auf den Zuschauer, bevor dann die letzte Viertelstunde wieder bewusst an Tempo verliert und Zeit zum Verschnaufen lässt.
Perfekt ist Mountain nicht geworden. Der Einstieg an sich ist etwas zu lang geraten und auch wenn es auf den ganzen Film betrachtet eine Spannungskurve gibt, lässt sich in den Bildern der ersten halben Stunde nur selten ein Narrativ ausmachen. Vielmehr wirken sie inhaltlich oft wie eine zwar hochwertige aber willkürlich zusammengewürfelte YouTube-Compilation und es würde wohl keinen nennenswerten Unterschied geben, wären sie anders montiert. Auch sind einige Sequenzen zu lang, wofür es im auf der Blu-Ray verfügbaren Making Of eine einleuchtende Erklärung gibt: Da der Film immer wieder mit klassischer Musik, zum Beispiel von Beethoven oder Vivaldi, unterlegt ist, mussten die Bilder der Musik angepasst werden statt umgekehrt. Das ist nachvollziehbar, schließlich ist klassische Musik unantastbar und kann nicht einfach nach Belieben gekürzt werden. Bei Szenen allerdings, welche nicht von dieser Musik begleitet werden, greift die Erklärung nicht. Bei insgesamt 2000 Stunden Material mag es zwar äußerst schwerfallen, auf liebgewonnene Bilder zu verzichten, dennoch hätte der Film hier und da davon profitiert.
Wie eingangs erwähnt beginnt der Film mit Willem Dafoe im Tonstudio, ausgehend davon wäre es stimmiger gewesen, er endete auch damit, statt nach einer Schwarzblende in der letzten Szene zum Abspann überzugehen. Während der Schwarzblende habe ich regelrecht erwartet, dass nun gleich Dafoe zu sehen ist, der die Kopfhörer abnimmt, durchatmet, das Gesehene beziehungsweise gerade Kommentierte innerlich verarbeitet und mit einem beeindruckten Blick als Projektion des Zuschauers denselben in den Abspann entlässt. Meiner Meinung nach hat sich Peedom hier ein richtig gutes Ende durch die Lappen gehen lassen, ungeachtet dessen hätte sie beim aktuellen Ende den Film aber auch nicht mit dem Tonstudio anfangen lassen sollen. Erst im Making Of offenbart sich der Sinn der Einstiegsszene, doch da sie einer Zusatzerklärung bedarf und nicht für sich steht, wäre es erst recht besser gewesen, am Ende eine Rahmenhandlung zu etablieren, sodass sie zweierlei Bedeutung bekommt und sowohl für Leute funktioniert, die über das Hintergrundwissen verfügen, als auch für jene, welche den Film als Standalone sehen möchten.
Gesichtet wurde die Originalversion mit der Stimme von Willem Dafoe. In der deutschen Fassung wird der Film von Reiner Schöne erzählt; wer kein oder nur wenig englisch versteht, wird damit sicher ebenfalls sehr gut bedient sein.
Mountain ist Erlebnisurlaub und Opernbesuch in einem. Jennifer Peedom ist intelligent genug, ihre Liebeserklärung an die Berge nach 74 Minuten zu beenden und nicht in die Länge zu ziehen, auch wenn gerade der Anfang durchaus noch Kürzungen und vor allem eine klarere Struktur vertragen hätte. Als Filmemacherin vermag sie es aber, sowohl Bergsportler anzusprechen als auch Menschen, die mit dem Thema noch nie in Berührung kamen.
Bewertung: 7/10
[…] Kameraführung, einige Bilder der Südtiroler Berglandschaft hätten durchaus im Anfangsteil von Mountain vorkommen können und auch sonst gibt es kaum etwas daran auszusetzen – sehr schludrig. Die […]