Eine Anna und ein Hans ergeben zusammen „Die Hannas“. Seit fünfzehn Jahren sind sie nun ein Paar, doch als sie unabhängig voneinander die Schwestern Nico und Kim treffen, gehen sie jeweils eine Affäre mit ihnen ein, Anna mit Nico und Hans mit Kim. Eigentlich wollen sie aber weiterhin nur eine funktionierende Beziehung führen.
Noch vor ein paar Jahren gab es die so genannte „90 to 5 challenge“. Dabei handelte es sich um eine Art Filmfestival, bei welchem die Teilnehmer einen Spielfilm nehmen und neu schneiden sollten; das Ergebnis der Bemühungen musste fünf Minuten lang sein. Gäbe es diesen Wettbewerb noch und nähme jemand Die Hannas als Vorlage, der Sieg wäre ihm gewiss. Das liegt nicht etwa daran, dass sich in Die Hannas ein besonders guter fünfminütiger Plot verberge, der nur zusammenmontiert werden müsse – im Regelfall erzählten die gestutzten Versionen eine ganz neue Geschichte -, sondern schlicht daran, dass Die Hannas lediglich einen fünfminütigen Plot enthält, gestreckt auf 102 Minuten. Zumindest gefühlt. Etliche Szenen sind überflüssig, tragen außer ihrer Anwesenheit nichts zum Gesamtwerk bei, bringen den Film nicht voran oder sind künstlich in die Länge gezogen. Vor allem in der ersten Hälfte gibt es mehrere Dialoge, die nach einem „Nein!“-„Doch!“-Schema ablaufen, was unnötig Zeit vergehen lässt.
Neben den Szenen, welche den Film nicht voranbringen, gibt es auch einige, die von einem späteren Zeitpunkt aus betrachtet vermeintlich eine Rolle spielen. Die Art jedoch, wie diese Szenen hinterher wieder aufgegriffen werden, ist leider nur als plump und unfähig zu bezeichnen. So benutzt Anna zum Beispiel am Anfang einmal einen kleinen Aufkleber, der sie daran erinnern soll, authentisch zu bleiben. Danach kommt das eine Stunde lang nicht mehr vor als wäre es nie passiert, nur um dann doch wieder aufzutauchen, als ein gänzlich anderer Charakter – welcher überhaupt nichts mit dieser Methodik zu tun hat und von dem nie gezeigt wird, dass er weiß was es damit auf sich hat – so einen Aufkleber sieht und dadurch eine authentische Antwort gibt. Ein anderes Beispiel ist Annas Schwimmeinsatz gegen Ende. Immer wieder werden kurze Szenen mit ihr im Schwimmbad gezeigt, die jedoch den Eindruck entstehen lassen, sie könnte kaum schwimmen. Da hätte es gereicht, ihre Affinität zum Schwimmen via Dialog zu transportieren – was genau das ist, was sowieso schon getan wird, wodurch die Szenen erst recht deplatziert wirken.
Auch wenn Geschichte und Setting anders sind, erinnert Die Hannas streckenweise an Julia C. Kaisers Regiedebüt Das Floß!. Das liegt nicht nur daran, dass mehrere Schauspieler daraus auch hier wieder aktiv wurden. Bei beiden Filmen stammt das Drehbuch ebenfalls aus ihrer Feder und bei beiden Filmen ist das Skript die größte Schwäche. Den Charakteren wird keine Motivation für ihre Handlungen gegeben: Während mit viel gutem Willen noch ein Grund gefunden werden kann, wieso Anna und Hans sich auf Nico beziehungsweise Kim einlassen, so ist es umgekehrt alles andere als nachvollziehbar. Hinzu kommen wieder die vielen kleinen Szenen, die nichts außer der Laufzeit beitragen, sowie eine generelle Missachtung des „show, don’t tell“-Prinzips, was durchaus funktionieren kann, wenn dahinter ein ersichtlicher Gedankengang steht und es nicht wie hier nach Inkompetenz aussieht.
Sicher, Die Hannas ist ein etwas anderer Film. Wie schon angesichts Das Floß! und ähnlicher Filme muss aber immer wieder attestiert werden, dass „anders“ nicht automatisch „besser“ bedeutet. Insbesondere dann nicht, wenn die Andersartigkeit darin besteht, ein generischer deutscher Independentfilm zu sein. Teilweise vielleicht improvisierter Dialog, teilweise abgelesen wirkender Dialog, immer aber spröder Dialog – um die 30-Minuten-Marke herum fragt Hans verwirrt „Hä?“ – prägnanter könnte ich Die Hannas auch nicht beschreiben.
Julia Becker holt in der Rolle der Kim mehr aus dem ihr gegebenen Text heraus als möglich sein sollte, ansonsten bewegt sich der Großteil des Casts auf gehobenem Laienniveau, was weitestgehend Buch und Regie anzulasten sein dürfte. Von der 70- bis zur 80-Minuten-Marke wird der Film fast mal gut und hat zumindest eine Struktur. Das ist, als Anna und Nico auf Hans und Kim treffen und die Affären auffliegen. Die am besten vielleicht als „versöhnliches Streitgespräch“ zwischen Anna und Hans zu bezeichnende Szene ist sogar richtig witzig. Während des Lachens fällt dann nur leider auf, dass der Film unter anderem als Komödie ausgewiesen ist und bisher so rein gar nichts lustig war.
Farblose Charaktere, unmotivierte Handlungen und unnötig langgezogene Szenen – Kaiser wiederholt in Die Hannas so ziemlich alle Fehler ihres Regiedebüts und schafft es darüber hinaus, dieses noch einmal zu unterbieten. Eine intensive Julia Becker und eine solide zehnminütige Passage dienen dem Film jedoch als kleine Ehrenrettung.
Bewertung: 3/10