Vorweg: Wer nicht mindestens die Hälfte der MCU-Filme gesehen hat, sollte sich Avengers: Infinity War im eigenen Interesse definitiv aufsparen. Davon zeugt allein schon der Text auf der Rückseite der dazugehörigen Blu-ray. Wo normalerweise eine Inhaltsangabe des Films und gegebenenfalls mit Superlativen gespickte lobende Stimmen zu finden sind, gibt es hier lediglich zwei Sätze, in welchen darauf hingewiesen wird, dass zehn Jahre Entwicklung in diesen Film münden. Die vermeintlich lapidare Art kann Marvel sich problemlos erlauben, denn viel mehr ist dazu kaum zu sagen, ging Avengers: Infinity War durch das MCU doch eine zehnjährige Promotionsphase voraus.
ALLE Filme des MCU muss man für Infinity War natürlich nicht gesehen haben. Wer beispielsweise den vergleichsweise schwachen Black Panther nicht gesehen hat, The First Avenger: Civil War aber schon, wird angesichts des Königs von Wakanda nicht das Gefühl haben, dass ihm irgendeine Hintergrundgeschichte zu diesem Charakter oder seinen Mitstreitern fehlt. Civil War deckt auch gleich alles ab, was man in Bezug auf Spiderman gesehen haben muss; Spider-Man: Homecoming war ein netter Sommerfilm, für Infinity War aber keine Voraussetzung. Wer allerdings weder Doctor Strange noch Thor: Tag der Entscheidung gesehen hat, wird mit dem obersten mystischen Wächter der Erde wenig anfangen können.
Nicht ganz so stark, aber ähnlich wie Thor: Tag der Entscheidung setzt Infinity War auf Humor. Dieser zündet zwar fast immer, erstens erscheint aufgrund der ernsten Thematik allerdings ein wenig Mäßigung angeraten, zweitens ist das Humorbedürfnis im MCU nach dem dritten Thor-Teil vorerst gestillt. Statt den ganzen Film damit zu durchziehen und jedem Charakter einen flotten Spruch in den Mund zu legen, hätte der Humor auf Szenen mit Thor und den Guardians sowie eventuell noch Doctor Strange und Spiderman beschränkt werden sollen. Andererseits kann man den Drehbuchautoren hier nicht all zu viel vorwerfen, denn so eine Entscheidung hätte schnell dazu führen können, dass der Film einen tatsächlich zu ernsten und bedrückenden Ton erhält.
Wofür man das Skript von Christopher Markus und Stephen McFeely uneingeschränkt loben muss, ist das makellose Zusammenführen der Charaktere, Helden wie Schurken. Thanos den besten Bösewichts des MCU zu nennen, ist wenig aussagekräftig, da dieses Ressort von jeher eine deutliche Schwachstelle des Franchises war. Nachdem Hela den ersten nennenswerten Vorstoß in Richtung Besserung dieses Syndroms darstellte, scheint Thanos gute Chancen zu haben, den Fluch endgültig zu brechen. Viel beeindruckender aber ist, wie derart viele unterschiedliche Charaktere, die von so vielen verschiedenen Drehbuchautoren und Regisseuren kreiert und geformt wurden, in einem zweieinhalbstündigen Film auftreten können, ohne dass dieser sich überladen anfühlt oder es Brüche zu den bisherigen MCU-Filmen gibt. Das sind alles genau die Charaktere, mit denen man zehn Jahre lang aufgewachsen ist und auf dem Papier sollte das gewagte Unterfangen, alle unter einen Hut zu bringen, nicht so reibungslos funktionieren.
Der Film mit der wohl längsten Marketingkampagne der Filmgeschichte hat zweifellos Schwächen, ist unterm Strich aber mehr als gelungen. Nun bleibt nur abzuwarten, ob der noch titellose Part II mithalten kann. Das MCU ist aktuell auf seinem Höhepunkt und ein Ende ist – zum Glück, wie man nun sagen kann – nicht in Sicht.
Bewertung: 8/10